Schlanke hohe Fenster reichen bei entsprechender Raumhöhe aus, um den Innenbereich mit ausreichend Tageslicht zu versorgen (Foto: Thomas Auer/Stefanie König/GEV)
  • 26.06.2025

Neue Einfachheit für gesunde Räume

Wie kann der Bausektor dazu beitragen, die Klimaziele und CO2-Neutralität zu erreichen? Thomas Auer, Professor für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der TU München, plädiert für ein einfaches, technisch abgerüstetes Bauen, Verwendung emissionsarmer Produkte und eine neue Definition des Begriffs »Komfort«. Der folgende Bericht gibt in konzentrierter Form den Vortrag von Prof. Auer bei der GEV, Gemeinschaft Emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe, Klebstoffe und Bauprodukte, wieder.


»95% der Gebäude funktionieren nicht wie geplant. Trotzdem fährt die Industrie weiter wie ein Tanker: Gebaut werden dumme Glasgebäude.« Prof. Thomas Auer spart nicht mit Kritik am aktuellen Baugeschehen. »Die Architektur, die wir bauen, ist zu kompliziert. Wir müssen einfacher bauen.« Auer verweist darauf, dass das aktuelle Gebäudeenergiegesetz (GEG) zu sehr den berechneten Energiebedarf gewichte. Doch hätten Studien gezeigt, dass Gebäude der schlechtesten Energieeffizienz (Klasse G) beim tatsächliche Energieverbrauch im Verhältnis zum errechneten Energiebedarf deutlich besser abschnitten als Gebäude der besten Effizienzklasse A (»Performance Gap«).

Grafik Tatsächlicher und errechneter Energieverbrauch pro Quadratmeter Wohnfläche in Einfamilienhäusern nach Energieeffizienzklasse
Die Konzentration des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) auf die berechneten Energiebedarfe ist nicht sinnvoll, da der tatsächliche Energiebedarf in den höheren Effizienzklassen zum Teil deutlich höher liegt (© Thomas Auer/Stefanie König/GEV)


Statt sich auf in der Praxis unerreichbare Energieeffizienzwerte zu konzentrieren, rät Auer zu einem ganzheitlicheren Ansatz. »Wir müssen auch über graue Energie sprechen und den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes berücksichtigen.« Die sogenannte graue Energie bezeichnet die Energiemenge, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung von Bauprodukten aufgewendet werden muss.

Auer belässt es nicht bei Kritik, sondern benennt auch Lösungen, wie durchdachtes Bauen zur Klimaneutralität beitragen kann. Er plädiert dafür, die Komplexität beim Bauen zu reduzieren, »in Form, Materialität und Technik«. Der technische Aufwand stehe in vielen Fällen in keinem gesunden Verhältnis zur Energieersparnis. Er verweist auf das Forschungscluster »Einfach bauen« an der TU München in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Prof. Florian Nagler. Im Rahmen eines Projekts wurden im oberbayerischen Bad Aibling drei Forschungshäuser in drei verschiedenen Bauweisen errichtet: aus Ziegel, Holz und Leichtbeton. Die Gebäude wurden energetisch bewusst so ausgelegt, dass sie lediglich die Mindestanforderung des GEG erfüllen (Effizienzhaus 100).

Das Monitoring mit vielen Messungen ergab, dass – unabhängig von der Bauweise – die Lowtech-Gebäude funktionieren, wenn bestimmte Aspekte beachtet werden. Dazu gehören unter anderem einschichtige Wand- und Deckenkonstruktionen, ausreichende Speichermasse, um Hitze- und Kältephasen auszugleichen, sowie Trennung von Gebäude und Techniksystemen. Wichtig sind für Auer auch »angemessene Fensterflächen und Raumhöhen«. Auf Basis von fast 3.000 Simulationen ermittelten Auer und sein Team, dass sich Räume mit größerer Deckenhöhe durch hohe, schmale Fenster in der Tiefe besser beleuchten lassen. Auf diese Weise sei weniger Fassadenfläche im Verhältnis zur Grundfläche erforderlich, was sich im Sommer wie im Winter vorteilhaft für das Raumklima auswirke.

Dank des Fensteranteils an der Fassade von unter 20% ist ein Sonnenschutz, der üblicherweise eine klassische Wärmebrücke darstellt, überflüssig. Trotzdem wird eine gute Tagesbelichtung erreicht. Durch den Verzicht auf einen schwimmenden Estrich sind Sanitär- und Elektroleitungen in Sichtinstallation (auf Putz) verarbeitet. Das Ergebnis des Monitorings der drei Häuser stellt alle Beteiligten mehr als zufrieden: »Fünf von sechs Wohnungen haben weniger Energie verbraucht als prognostiziert«, betont Auer. Die Versuchshäuser zeigten, dass Lowtech möglich sei und eine gute Lösung für CO2-neutrales Bauen darstelle, wenn man die graue Energie berücksichtige.

Wichtig sind für Auer auch schadstoffarme Räume. In vielen Gebäuden gebe es bedenkliche Konzentrationen von VOC (Volatile Organic Compounds – flüchtige organische Verbindungen), die als gesundheitsgefährdend gelten. Auer sieht hier eine große planerische Verantwortung. Bei Verwendung emissionsarmer Produkte, zum Beispiel mit dem Emicode-Siegel, könne die VOC-Konzentration reduziert werden. Verstärkt wird dieser positive Effekt zum Beispiel mit offenen Raumstrukturen.

Grafik Innenraumluftmessung (TVOC)
Entscheidend für ein gesundes Raumklima ist die Verwendung emissionsarmer Produkte, zum Beispiel mit Emicode-Zeichen. In den Modellhäusern lag die Konzentration sämtlicher flüchtiger organischer Verbindungen (TVOC) deutlich unter den Grenzwerten der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). (© Thomas Auer/Stefanie König/GEV)


Ist die in den drei Versuchshäusern praktizierte Einfachheit der Königsweg zu klimaneutralem Bauen? Auer sieht hier ökonomische Zwänge, die dem im Wege stehen. Dicke Wände wie bei den Modellhäusern bedeuteten einen Wohnflächenverlust. Und durch größere Raumhöhen falle ein Geschoss weg. Das mache diesen Ansatz für Bauunternehmen aufgrund der hohen Grundstückspreise, vor allem in den Städten, unwirtschaftlich. Am ehesten lasse sich das Modell daher im ländlichen Raum realisieren.

Zusätzlich zum Konzept »Einfach bauen« regt Auer in Anlehnung an den Architekturprofessor Daniel A. Barber und dessen Essay »After Comfort« an, den Begriff Komfort neu zu denken. Nicht nur technisch, sondern auch im Hinblick auf Komfort sei eine Abrüstung erforderlich. »Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Klimatisierung zu weniger Beschwerden führt, nur zu anderen«, betont er. Auer rät zu einem »healthy discomfort«, einem gesunden Komfortverzicht. Ein regelmäßiger »discomfort«, zum Beispiel Treppe statt Aufzug, könne gesundheitsfördernde Wirkung haben wie zum Beispiel das Winterschwimmen in kaltem Gewässer. »Wir müssen raus aus diesem omnipräsenten und ganzjährigen Komfort und stärker saisonal arbeiten.«

Prof. Thomas Auer

Prof. Thomas Auer, geb. 1965, hat an der Technischen Universität München den Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen inne. Er forscht und lehrt über Fragen der ganzheitlichen Gebäudeoptimierung unter Berücksichtigung der zukünftigen Entwicklungen im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele der EU. Prof. Auer war mit Simulationen und Messungen unter anderem an Planung, Bau und Betrieb des Manitoba Hydro Place im kanadischen Winnipeg beteiligt, das aufgrund seiner mehrschichtigen Fassadenstruktur und einem innovativen Energie- und Lüftungskonzept für Aufsehen in der Fachwelt sorgte (Architektur: KPMB Architects, Toronto).

 

Das Emicode-Zeichen

Das Emicode-Zeichen wird von der GEV Gemeinschaft Emissionskontrollierte Verlegewerkstoffe, Klebstoffe und Bauprodukte vergeben. Ausschließlich Produkte, die minimalste Emissionen in Innenräumen garantieren, werden Emicode-zertifiziert. Baustoffe mit Emicode-Zeichen gibt es für unterschiedlichste Gewerke. Sie werden von unabhängigen Laboren in speziellen Prüfkammern auf VOC-Emissionen getestet. Damit die Grenzwerte dauerhaft eingehalten werden, folgen auf die Erstprüfung regelmäßige Stichprobenkontrollen durch unabhängige Experten und Prüfinstitute ohne Voranmeldung.

 

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