BauSV: Ist Radon ein Thema nur für Spezialisten? Oder geht das Thema Radon jeden Sachverständigen an?
Leicht: Zunächst ist Radon ein Fachthema, das zur Beurteilung umfassendes Wissen in diversen Disziplinen auch außerhalb des Bauwesens voraussetzt. Ähnlich wie z.B. beim Brandschutz, Schallschutz oder Baugrund benötigt es hier Fachkenntnisse, die im Allgemeinen nicht vertieft vorhanden sind. Jedoch müssen Bausachverständige und auch Architekten zumindest Grundsatzwissen zu diesen Themen haben.
Ähnlich kann man auch das nun im Bauwesen neu aufgetretene Thema Radon einstufen. Verschärfend kommt hinzu, dass sich nach den Anforderungen des neuen Strahlenschutzgesetzes, kurz StrlSchG, welches seit einigen Wochen in Kraft getreten ist, eine Vielzahl möglicher Haftungsrisiken auch für die Berufsgruppen der Bausachverständigen, Gebäudewertermittler und natürlich auch Architekten ergeben können, von den weiteren Kreisen wie Bauträger, Makler, WEGs, Vermieter usw. einmal abgesehen. Daher lohnt es, sich zumindest Grundkenntnisse zur Beurteilung von Radon anzueignen, um bei vertieften Fragen dann auf Spezialisten, die sog. Radonfachpersonen, verweisen zu können und mögliche Haftungsrückgriffe einzuschränken.
BauSV: Wer kann oder muss Radon messen? Und wie? Sind Messungen von Radon kompliziert und teuer?
Leicht: Eine Messpflicht ergibt sich aus dem StrlSchG aktuell noch für niemanden. Selbstverständlich kann jedoch jedermann auf freiwilliger Basis messen, zumal Messgeräte im Internethandel frei verfügbar und erhältlich sind und es keine Einstiegskompetenz benötigt, um diese Messgeräte zu erwerben. Mit etwa 30,00 € brutto inklusive späterer Auswertung von einem akkreditierten Labor sind sog. Exposimeter kostengünstig erhältlich. Für die Messung, insbesondere die Aufstellung der etwa nur daumengroßen Geräte, sind jedoch einige Grundsätze zu beachten, die das Messergebnis bei Fehlnutzung erheblich zum Positiven und Negativen beeinflussen können. Da hier ein enormes Manipulationspotenzial gegeben ist, wird insbesondere in künftigen Streitfällen eine Radonfachperson zur Validierung der Messwerte auch mit aufwendigeren und kostspieligeren Messgeräten gefragt sein.
Noch mal kurz zur Messpflicht zurück: Die Bundesländer müssen bis Ende 2020, zwei Jahre nach Inkrafttreten des StrlSchG, sog. Radonvorsorgegebiete ausweisen. Wer dann für Arbeitsplätze verantwortlich ist, die in diesen Gebieten liegen und sich in Unter- und/oder Erdgeschossen befinden, ist nach § 127 Abs. 1 Satz 1 StrlSchG verpflichtet, die Radonaktivitätskonzentration durch einjährige Messung zu ermitteln. Wenn der Referenzwert von 300 Bq/m³ überschritten wird, sind binnen zwei Jahren (bauliche) Maßnahmen zur Reduzierung der Radonkonzentration vorzunehmen, vgl. § 128 Abs. 1 StrlSchG. Dies gilt konkret für alle derartigen Arbeitsplätze, wie das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit im kürzlich veröffentlichten Radonmaßnahmenplan nochmals festgelegt hat.
BauSV: Welche Fachinformationen (z.B. BVS-Standpunkt) und Regelwerke gibt es zum Thema Radon, die man als Bausachverständiger unbedingt kennen sollte?
Leicht: Sachverständige sollten sich, insbesondere wenn sie Baumaßnahmen und Abnahmen begleiten, aber auch Beratungen z.B. bei geplantem Hauskauf durchführen, mit dem Thema Radon auseinandersetzen. Eine Überschreitung des Radon-Referenzwertes stellt bautechnisch einen Mangel dar, der zu bewerten sein wird. Hierbei ist zu beachten, dass es sich per Gesetz um eine behördliche Vorgabe handelt und nicht um eine »anerkannte Regel der Technik« und/oder DIN-Normen, die in ihrer Auslegung und Interpretation häufig umstritten sind. Das StrlSchG behandelt in einigen Paragraphen ab § 121 Radon im Bauwesen, die nachgelagert beschlossene und ebenfalls zum 31.12.2018 in Kraft getretene Strahlenschutzverordnung (StrlSchV) konkretisiert die Vorgaben aus dem StrlSchG. Beide sind im Wortlaut im Internet frei verfügbar.
Der BVS e.V., Bundesverband öffentlich bestellter und qualifizierter Sachverständiger, hat in Kenntnis der in Vorbereitung befindlichen Gesetzgebung bereits Anfang 2017 ein sog. Standpunktpapier, »Standpunkt Radon in Gebäuden«, veröffentlicht, um seinen Sachverständigen eine Beurteilungsempfehlung an die Hand zu geben. Der Standpunkt ist als Download über die Internetseite des BVS frei verfügbar.
Weiterhin sei auf die Broschüren der diversen Umweltämter hingewiesen, welche jeweils gut verständliche, lesbare und zugängliche Veröffentlichungen bereitstellen, so z.B. aktuell die Bundesländer Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Diese sind insbesondere zum Einstieg in die Thematik gut geeignet und sind ebenfalls im Internet frei verfügbar, wenngleich man etwas danach suchen muss. Um keine unnötige Beunruhigung in der Bevölkerung zu verursachen, gehen die Behörden mit dem Thema zurzeit vielleicht verständlicherweise nicht hausieren. Eine Strategie, die dann jedoch den Sensationsmedien mit ihren Vokabeln wie »Giftgas«, »Grenzwert« und »Gefahr« das Feld nahezu kampflos überlässt.
BauSV: Was sind die zentralen Aussagen des StrlSchG hinsichtlich Radon im Bauwesen?
Leicht: Zunächst der § 123 StrlSchG »Maßnahmen an Gebäuden«; hierzu werde ich häufig gefragt, ob die dort geforderten Maßnahmen zum Radonschutz für alle Neubauten gelten sollen oder nur für Neubauten, die in geogen höher belasteten Gebieten errichtet werden. Wie der Wortlaut besagt, macht der Gesetzgeber hier keine weiteren Einschränkungen, was für die Bauherren bedeutet, den Radonschutz als »Eigenschaft« einfordern zu können. Selbiges gilt auch für Baumaßnahmen im Bestand, die zu einer erheblichen Verminderung der Luftwechselrate führen – gemeint sind hier natürlich energetische Sanierungen.
Weiterhin bestehen häufig auch Unsicherheiten hinsichtlich des Referenzwertes von 300 Bq/m³, welcher in § 124 StrlSchG für Aufenthaltsräume und in § 126 StrlSchG für Arbeitsplätze festgelegt wurde.
BauSV: Für wen oder wo gilt dies konkret?
Leicht: Da der Gesetzgeber auch hier keine Einschränkungen genannt hat, sondern knapp formuliert »Der Referenzwert für die über das Jahr gemittelte Radon-222-Aktivitätskonzentration in der Luft in Aufenthaltsräumen (analog für Arbeitsplätze) beträgt 300 Becquerel je Kubikmeter.« wurde hier eine Anspruchsgrundlage für die Bevölkerung geschaffen, deren sie sich aktuell noch gar nicht bewusst ist. Ein Zeitvorteil, den sich die Bauwelt zurzeit noch proaktiv zunutze machen kann, bevor entsprechende Musterklagen geführt und Leiturteile gesprochen werden. Man denke z.B. an privatrechtliche vertragliche Verpflichtungen, die sich hier für Werkverträge, Immobilienkaufverträge, Mietverträge, aber auch Beschäftigtenverhältnisse und Betreuungsverträge z.B. in Kindergärten und dergleichen, ergeben können.
Nochmals, der Gesetzgeber drückt sich in diesen Paragraphen unmissverständlich, kurz und klar aus, Eigenschaften, die nicht allen juristischen Texten innewohnen.
BauSV: Welche neuen Vorschriften sollten Sachverständige kennen?
Leicht: Die DIN SPEC 18117 (Radonschutz, in 3 Teilen, 18117-1 zu baulichen und lüftungstechnischen Maßnahmen zum Radonschutz, Grundlagen). Der Teil 1 der DIN Spec wurde bereits zu Anfang 2019 erwartet, jedoch verschiebt sich die Veröffentlichung wohl frühestens in die zweite Jahreshälfte 2019. Inwiefern eine DIN Spec von ihrem besonderen Wesen her den Charakter der anerkannten Regeln der Technik erreicht oder erreichen kann und wird, bleibt hier jedoch abzuwarten.
Ferner die DIN 1946-6/2019 (Lüftung von Wohnungen – Anhang Kellerlüftung). Zu dieser DIN wurden mit Entwurf des Beiblatt 5 von 12:2015 bereits mit dem Beiblatt 5 Kriterien zum Schutz vor Radon beschrieben, das Beiblatt wurde jedoch unveröffentlicht zurückgezogen. Auch hier bleibt der Wortlaut der DIN abzuwarten und kritisch zu prüfen.
BauSV: Wie relevant ist die Verknüpfung von Feuchteschutz- und Radonanforderungen?
Leicht: Radon kann über die Bodenluft durch die erdberührten Bauteile ins Gebäudeinnere eintreten. Je dichter die Konstruktion ausgeführt ist, desto weniger Radongas kann ins Gebäude gelangen – so grundsätzlich einfach ist der ganze Vorgang. Der Gesetzgeber hat es bei dieser Einfachheit belassen, indem er in § 123 Abs. 1 Satz 1 StrlSchG schreibt, dass der Radonschutz im Wesentlichen bereits mit Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik erreicht wird, ohne jedoch näher zu beschreiben, welcher Feuchteschutz hier gemeint sein soll.
Treffender hätte man formulieren müssen »Feuchteschutz gegen drückendes Wasser«. Bei den Beanspruchungsklassen Bodenfeuchte oder Dränung, den Lastfällen in W1-E der DIN 18533, sind z.B. lose verlegte Bahnen ohne Klebe- oder Schweißnahtfügungen normativ zulässig. Solche Abdichtungsbauweisen stellen selbstredend keine gasdichte Ausführung dar. Gerade im Neubau werden auch Rissüberbrückungseigenschaften von Abdichtungsbaustoffen interessant, wenn z.B. Anfangssetzungen noch nicht abgeklungen sind, Schwindprozesse und dergleichen.
BauSV: Ist die Berechnung zur Abschätzung der Radonkonzentration eine originäre Sachverständigenaufgabe? Welche Ablaufschemata und Formblätter kann man dafür nutzen?
Leicht: Solche Berechnungen spielen in der Fachwelt aktuell keine Rolle, weil sie viel zu vage sind, um annähernd brauchbare, belastbare Aussagen zu treffen – fließen doch zu viele Parameter hier mit hinein. Reichen denn bei Aussagen zum Baugrund Berechnungen, ohne konkret zu untersuchen? Das wäre in etwa die Entsprechung zu Ihrer Frage. Im Neubau mag die erdberührte Konstruktion in all ihren Schichten an Wänden und Boden mit allen Baustoffen, ihren Eigenschaften und Schichtstärken noch bekannt sein. Über 90% der Wohngebäude in Deutschland sind jedoch Altbauten vor dem Jahr 2000 (Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Zensus 2011, destatis) und damit z.B. auch noch vor Veröffentlichung der ersten Energieeinsparverordnung. Wer eine aktive Sachverständigentätigkeit ausübt, weiß, wie schwierig bzw. unmöglich verlässliche Angaben zu Altbaukonstruktionen zu beschaffen sind. Eine kurzzeitige Mssung z.B. über drei Monate hinweg erscheint mir da wesentlich sinnvoller, um zu einer Einschätzung etwaiger Radonkonzentrationen zu kommen.
Für den noch nicht fertiggestellten Neubau gilt, dass insbesondere in Gebieten mit geogen bereits bekannter erhöhter Radonbodenluftkonzentration erhöhte Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Feuchteschutzes gestellt werden sollten. Dies sowohl für die Planung als natürlich auch für die Ausführung auf der Baustelle. Gleichwohl klar gesagt werden muss, dass auch außerhalb der nach »Radonkarte Deutschland« deutlicher geogen belasteten Gebieten lokal stark erhöhte Radonbodenluftkonzentrationen vorliegen können.
BauSV: Was raten Sie Bausachverständigen beim Umgang mit dem Thema Radon?
Leicht: Wer wie oben genannt beratend tätig ist, sollte zumindest entsprechende Hinweise hinsichtlich Radon geben, um sich schadlos zu halten und seine eigene Haftung zu begrenzen, z.B. etwa »Das Thema Radon wurde durch mein Büro nicht geprüft.« Zumal den Hinweispflichten und Bedenkenanmelden im Bauwesen ohnehin auch juristisch eine bedeutende Rolle zukommt. Sachverständige können, wenngleich dies eher selten geschieht, möglicherweise in Haftung genommen werden, wenn sie solche schon von behördlicher Seite und nicht (nur) werkvertraglich geforderten Themen wie Radon außer Acht lassen.
BauSV: Frau Leicht, vielen Dank für das Gespräch.
Dipl.-Ing. (BA) Karin Leicht ist zertifizierte Sachverständige für Schäden an Gebäuden (EIPOSCERT) gem. DIN EN ISO/IEC 17024 und Radonfachperson. Als Sachverständige im Bereich Bauschäden / Bauwesen ist sie seit Oktober 2008 zunächst im Angestelltenverhältnis und seit Anfang 2015 selbstständig tätig.
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LEICHT Sachverständige – Karin Leicht, Dipl.-Ing. (BA)
Zertifizierte Sachverständige für Schäden an Gebäuden (EIPOSCERT) und Radonfachperson
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