Werkstoffstoffentwicklung für klimafreundliches Bauen: Die Brücke besteht aus Flachsfasern und einem bio-basierten Polyesterharz. Es ist die erste Brücke dieser Art in Deutschland und weltweit die erste, die mit Kraftfahrzeugen befahren werden kann. Der Vorteil: Ein verkleinerter CO2-Fußabdruck im Vergleich zu konventionellen Brücken aus Beton und Stahl. (© Proesler Kommunikation)
  • 07.07.2025

Bio-basierte Brücke mit Award der DGNB ausgezeichnet

»Smart Circular Bridge« in Ulm erhält DGNB Award / Der Werkstoff: Flachsfasern und bio-basiertes Polyesterharz / Weltweit erste befahrbare Brücke aus Flachsfaserverbund / Vorteil: verkleinerter CO2-Fußabdruck / Verbindung aus Ingenieurskunst und Kultur

Die »Smart Circular Bridge« in Ulm wurde von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen mit einem Award ausgezeichnet. Die Fachjury der DGNB Sustainability Challenge verlieh der wegweisenden Brücke, die am 07.02.2025 eröffnet wurde, den begehrten Preis in der Kategorie Forschung. Sie ist der Schlussstein des von der EU geförderten Forschungsprojekts »Smart Circular Bridge« und zeigt das Potenzial schnell nachwachsender Rohstoffe für Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft im Bauwesen – und darüber hinaus. Zugleich überrascht sie die Passanten als Musikinstrument und lenkt mit ihrer Klangkunst den Blick auf Innovationen in puncto Nachhaltigkeit.


Klangkunst macht Innovation sinnlich erfahrbar

Passanten achten selten auf die Straßen oder Brücken, über die sie gerade gehen. Das ist in Ulm anders. Durch Klangkunst erleben sie, wie eine Brücke in der Ulmer Altstadt über die Kleine Blau unweit des berühmten Münsters auf sie reagiert. Sie hören ihre eigenen Schritte, und hören, wie die Brücke bei unterschiedlicher Belastung oder Temperaturveränderungen klingt. So macht das Stuttgarter Atelier für auditive Kommunikation »Klangerfinder« die Innovation spielerisch und sinnlich erfahrbar – direkt vor Ort und online unter www.flachsbruecke-ulm.de.

Möglich wird das mithilfe von 42 Sensoren, die in der Brücke verbaut sind. Sie dienen in erster Linie der Materialforschung für das EU-Projekt »Smart Circular Bridge« und seinem neuartigen Werkstoff aus Flachsfasern und einem bio-basierten Polyesterharz. Die Sensoren überwachen das Bauwerk und liefern genaue Daten über den Werkstoff im täglichen Einsatz. Auf Basis der Sensordaten übersetzen die »Klangerfinder« die Schritte von Passanten in komplexe Klanglandschaften. Mit ihrem Soundkonzept laden sie dazu ein, die Brücke als Musikinstrument zu erleben und die Auswirkungen von Gewicht und Temperaturveränderungen in Echtzeit zu hören.


Zurück in die Zukunft: traditioneller Flachs als innovativer Baustoff

Auf der Suche nach schnell nachwachsenden Rohstoffen für die Bauwirtschaft gerät ein altes Material wieder in den Blickpunkt: Flachs ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt, seine Fasern sind äußerst robust und reißfest. Aus den Fasern der Pflanze sowie einem Polyesterharz mit 25%igem Bioanteil haben Forschende in den Niederlanden einen hochstabilen Verbundwerkstoff entwickelt.

Der Flachsfaserverbund ist in seinen Eigenschaften Stahl oder Beton ähnlich, aber flexibler einzusetzen. Die Kombination aus Festigkeit und Steifigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht verleiht dem korrosionsbeständigen Bioverbundwerkstoff viel Potenzial im Bauwesen. Die Brücke in Ulm wiegt lediglich 3,9 t, kann aber 24 t tragen. Die leichte Bauweise und die nachwachsenden Rohstoffe sorgen für einen verkleinerten CO2-Fußabdruck.


Erste befahrbare Brücke aus dem neuen Baustoff

Was mit bio-basierten Baustoffen schon heute möglich ist, zeigt die »Smart Circular Bridge«. Sie ist für Fahrzeuge bis zu 12 t zugelassen, wiegt selber aber nur 3,9 t. Zugleich zeigt das Projekt, dass nachhaltige Lösungen wirtschaftlich sein können.

Für diese Brücke wurden das neuartige Verbundmaterial und die Konstruktion unter Leitung der Technischen Universität Eindhoven in Zusammenarbeit mit 14 Projektpartnern weiterentwickelt.


Vakuuminjektion mit bio-basiertem Harz

Die freitragende Fußgänger- und Radfahrerbrücke mit einer Spannweite von 8,5 m hat eine Breite von 5,34 m und eine Gesamtlänge von 9 m. Die Brücke wiegt weniger als 100 kg/m2 und ist damit deutlich leichter als eine vergleichbare Stahl- oder Betonbrücke.

Der eigentliche Brückenkörper besteht aus unterschiedlich gestalteten Einzelkomponenten. Für das Sandwichdeck wurden Flachsfasermatten mit Vierkantbalken aus recyceltem PET-Schaum belegt und mit flüssigem bio-basiertem Polyesterharz im Vakuum verpresst und verklebt.

Sandwich Deck
In der Fertigungshalle wird das Sandwichdeck aufgesetzt (© Smart Circular Bridge)


Die Bodenplatte sowie acht Hauptträger und drei Querspanten in U-Form wurden ebenfalls aus Flachsfasermatten hergestellt und mit dem Harz vergossen. Nach der Herstellung wurden die Einzelteile miteinander zu einem Brückenkörper zusammengesetzt und verklebt. Ein robustes Beschichtungssystem sorgt für den Schutz der Flachsfasern und sichert deren Langlebigkeit und Haltbarkeit. Das Brückengeländer besteht aus dem gleichen Material und wird per Roboter kunstvoll zu einem Geflecht gewickelt.

Geländer der »5Smart Circular Bridge«
Das per Roboter gewobene Geländer bringt die Naturfasern im höchsten Maße zur Geltung und gibt einen Hinweis darauf, welche Materialien im Inneren der Brücke verwendet wurden (© Proesler Kommunikation)


EU-Projekt »Smart Circular Bridge«

»Smart Circular Bridge« ist der Name eines EU-Projekts zur Weiterentwicklung eines neuartigen Kompositmaterials auf Basis von Flachsfasern und bio-basiertem Harz für Bauwerke und tragende Strukturen. Unter der Führung der Technischen Universität Eindhoven hat ein internationales und multidisziplinäres Projektteam aus fünf Universitäten, sieben Unternehmen und drei Gemeinden die Anwendung des neuen Baustoffs im Brückenbau vorangetrieben. Das EU-Projekt wurde von Interreg NWE gefördert, weil es drei übergeordnete Strategien der EU bündelt: die Klimaschutzstrategie, die Kreislaufwirtschaftsstrategie und die Strategie zur Entwicklung bio-basierter Werkstoffe. Alle drei Strategien haben in Deutschland ihre Entsprechungen auf Bundes- und Landesebene.

In dem EU-Forschungsprojekt wurden mit dem neuen Verbundwerkstoff zwei Brücken geplant und gebaut. Zugleich werden Daten für die weitere Materialforschung erhoben. Dazu liefert ein Monitoring-System mit 42 Glasfaser- und Bewegungssensoren in der Brückenkonstruktion Informationen über Verformungen und Umwelteinflüsse in Echtzeit. Die Auswertung der Daten erfolgt mithilfe künstlicher Intelligenz.

Die Messdaten können auf einer öffentlichen Webseite eingesehen werden.


Projektbeteiligte an der Brücke in Ulm

  1. Ingenieurwesen und Produktion: Technische Universität Eindhoven/NL, Witteveen+Bos, Delft Infra Composites B.V., Breukelen/NL
  2. Prüfingenieur: Heller Tragwerksplanung, Prüfingenieur Brücke als für Bautechnik, Ulm
  3. Architektur: Forschungsgruppe BioMat, Universität Stuttgart
  4. Sensoren: Com&Sens, Nazareth/BE; 24SEA, Brüssel/BE
  5. Geländer: FibR GmbH, Fellbach
  6. Fasern: Bcomp Ltd, Fribourg/CH
  7. Harz: Polynt Group, Varese/IT
  8. Kommune: Stadt Ulm
  9. Klangkunst: Klangerfinder – Atelier für auditive Kommunikation, Stuttgart
  10. Kommunikation: Proesler Kommunikation, Tübingen

 

Das Bild zeigt (v. l. n. r.) Anna Braune (DGNB), John Vogelmann (Klangerfinder), Marlen Pfeiffer (Proesler Kommunikation) Hanaa Dahy (Forschungsgruppe BioMat), Jochen Aminde (Stadt Ulm), Anna Aich (Stadt Ulm), Alec Dull (Klangerfinder), Martin Prösler (Proesler Kommunikation)
V. l. n. r.: Anna Braune (DGNB), John Vogelmann (Klangerfinder), Marlen Pfeiffer (Proesler Kommunikation) Hanaa Dahy (Forschungsgruppe BioMat), Jochen Aminde (Stadt Ulm), Anna Aich (Stadt Ulm), Alec Dull (Klangerfinder), Martin Prösler (Proesler Kommunikation) (© DGNB)

 

Proesler Kommunikation GmbH
Karlstraße 2
72072 Tübingen
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Telefax: 07071 234-18
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